Yves Mettler

Staub ist unsere Farbe

Hier ist eine Stadt, die keine mehr ist, wo Perspektiven tausendfach Lücken aufweisen und Fenster an blinden Fassaden blühen. Rücksichtsloses Leben überwuchert vorgefundene Strukturen. Aus dem Dasein als Stadtwanderer und Tourist ausbrechen, die Realität vergessen. Das Durcheinander ist allgegenwärtig und zerstört als Eindringling und Belagerer die Entwürfe der Moderne.

Ich gehe durch die Strassen – Schwarz-Weiss-Aufnahmen aus Staub –, mein Blick bleibt an Linien, Formen, Motiven und Ornamenten meines Kontinents haften. Die Kampagne «Europa 2000» versucht, diese Prachtstrassen zu säubern. Eine von der ägyptischen Regierung angeheuerte Firma soll die Selbstorganisierten vertreiben, eine elende Klasse, zu geschäftstüchtig geworden, zu sichtbar, zu mächtig, vor allem zu produktiv. Sie verwandelt Abfall in Geld, recycelt in der Stadt weggeworfenes Papier – Material und Kairoer Stadtpläne in Schwarz-Weiss.

Ich war Zeuge vom Untergang der westlichen Welt und erblickte einen Ort, der nicht wie die arabische Welt anmutete. Ich suchte nach einer Tür wie der Wüsten-Guide nach einer Handyverbindung auf einem Felsen. Dank übersetzter Literatur, dem Aufstöbern von Bruchstücken aus meiner Welt und dem Austausch mit einem Freund gelang es mir, den Kulturschock zu überwinden. Dieser Freund ermöglichte mir den Zugang zur fremden Andersartigkeit, es entstand eine Nähe aus der Frage, die uns gemeinsam ist: Wie wird eine Stadt zum Zuhause?

Die Gegensätze könnten grösser nicht sein, und das Motto «Plane und lass es geschehen» bewahrheitet sich hier insofern, als die Anwendung von Normen und das Erstellen von Statistiken unweigerlich scheitern. Zur Entspannung spaziere ich im Al-Azhar-Park, wo sich die ägyptische Klassengesellschaft durchmischt. Ich mache mir Gedanken zur Bedeutung von Funktion und erinnere mich an die Tintenstrahldrucker bei ihrem vergeblichen Kampf, klare weisse Linien auf das raue Recyclingpapier von Kairo zu bringen.
‹Yves Mettler›

Yves Mettler
*1976 in Morges (VD)
lebt und arbeitet in Berlin

Ausbildung
1996–2002, Critical, Curatorial Cybermedia Programme, École supérieure des beaux-arts de Genève (heute HEAD)
1999–2001, Neue Medien, Meisterklasse Kogler, Akademie der Bildenden Künste, Wien

Medien der künstlerischen Arbeiten
Installation mit Sound, Fotografie, Video, Grafik, Interventionen im öffentlichen Raum, Text

Einzelausstellungen (Auswahl)
2009 Aspanggründig, Bawag Contemporary, Wien
2008 Alexanderplatz, mit Eva-Maria Wilde, Galerie Blancpain Art Contemporain, Genf
2008 Exologisms, Georg Kargl Box, Wien
2006 Yves Mettler – Manor Kunstpreis St. Gallen 2006, Kunstmuseum St. Gallen
2006 Yves Mettler – Pont Bessières, Musée cantonal des Beaux-Arts, Lausanne

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2009 Aufgeräumte Zimmer – Skulpturen aus der Sammlung mit Interventionen, Kunstmuseum Thun
2009 Modellhaft, Kunst Raum Riehen
2008 Archilab. Collection FRAC Centre, FRAC Centre, Orléans (Kat.)
2008 Lasciami, 10e Triennale de sculpture contemporaine suisse en plein air, Bex & Arts 2008, Bex
2008 No place – Like home, Argos, Brüssel

Publikationen (Auswahl)
2006 Ralf Beil und Konrad Bitterli (Hrsg.), Yves Mettler. My flowers aren’t always hiding secrets, Kunstmuseum St. Gallen, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg

Auszeichnungen (Auswahl)
2006 Manor Kunstpreis St. Gallen
2006 Dorothea von Stetten-Kunstpreis, Kunstmuseum Bonn
2006/04 Kiefer Hablitzel Preis
2005 Prix du jury Accrochage, Kanton Waadt
2004/03 Eidgenössischer Preis für Kunst

Ägyptenaufenthalte
2007 Kairo, Media Art Workshop, Summer Academy, Faculty of Art Education, Helwan University, in Zusammenarbeit mit Shady El Noshokaty, Eigeninitiative
2006 Kairo, zweieinhalb Monate Artist-in-Residence, Pro Helvetia

www.theselection.net
www.hausfuerkunsturi.ch/allgemeines/im-schatten-der-pyramiden/