Andreas Marti

Andreas_Marti_Himmel_Hoelle_The_Whole.jpg
Ausstellungsansicht Haus für Kunst Uri, Melencolia 2014; Andreas Marti, Himmel Hölle The Whole; Foto: F.X. Brun

Der Stich der Melencolia I gilt als das rätselhafteste Werk Albrecht Dürers und als «Tummelplatz» der ikonografisch ausgerichteten Kunstgeschichte (Heinrich Wölfflin). Als freie Arbeit Dürers, der zur Entstehungszeit 1514 im Auftrag Kaiser Maxilians I. stand, führt der Stich auch heute noch vor Augen, was die Komplexität der künstlerischen Praxis ausmacht: Die Verbindung von Intuition, rationaler Entscheidungskraft und Notwendigkeit des Handwerks. Zeitgenössische Kunst basiert auf der Akzeptanz und Gewichtung, aber explizit auch auf der Negierung dieser dialogischen Komponenten. Zusammen verbinden sie sich in jedem einzelnen Werk zu einer unverwechselbaren Einheit und Aussage.
Andreas Martis Praxis beginnt weder mit der Linie noch mit dem Raum, endet jedoch mit diesen. Sein Vorgehen ist (am Anfang) forschend-analytisch, seine Vorstellung (am Ende) bildhaft («dem Bild nahe»). Diese ungewöhnliche Umkehrung des üblichen künstlerischen Prozesses ist im Werk Himmel oder Hölle sehr gut erkennbar. Ein Kinderspiel aus gefaltetem Papier interessiert den Künstler seiner Konstruktion und seiner Möglichkeit zur Manipulation wegen. Im realisierten, um ein Mehrfaches vergrösserten Werk wandelt sich das Objekt in eine raumfüllende, raumaufspannende Skulptur, die weder bewegt und noch weniger verändert werden kann. Sie gibt den Blick rein zur Anschauung frei («ich bin das Werk»). Wie in anderen Arbeiten der Ausstellung nimmt auch A Test of Tests dieses Werkprinzip auf. Marti schafft ein Bild, dem weder ein traditionell malerischer Bildaufbau noch eine  Bildkomposition vorangegangen sind. Aus vorgefundenen Bohrlöchern einer Wand sind, so der Anschein, verschiedene Farbpigmente den physikalischen Gesetzen zufolge nach unten gerieselt, haben Streifspuren hinterlassen und sich dann am Boden in Pulverhäufchen gesammelt. Der Künstler, der sich nicht als Maler, sondern als Bildhauer versteht, ist fasziniert von Farbe, die sich in ihrer Körperhaftigkeit zeigt. In der einen Arbeit ist es ihr Rohzustand, das Pigment, in Disappearance as an Option ist es dessen verflüssigte Form, die bildgebend wird. Das im Titel angedeutete Verschwinden der Farbe ist «optional», da die Farbe im Papierstapel nur vermeintlich «absäuft». Ihrer fliessend-durchdringenden Eigenschaft zufolge tritt sie an anderer Stelle markant wieder zu Tage. «Ich nehme die rote Farbe nicht wegen ihrer Symbolik», sagt Andreas Marti, «mein Bezugsrahmen ist ihre technische Herstellung, sind Bezeichnungen wie ‹Kadmiumrot›. Ob eine Farbe synthetisch produziert oder aus natürlichen Grundstoffen gewonnen wurde, interessiert mich nicht». Die Haltung, Material ihrer serienproduktiven Eigenschaften wegen zu verwenden, ist eine Errungenschaft der Sechziger Jahre. Trotz Anleihe an die Minimal Art geht Marti nicht so weit, sich komplett den Regeln einer Produktionsästhetik zu unterwerfen, die sich unweigerlich aus dieser Art des künstlerischen Umgangs mit Industriematerialien ergeben. Die Veränderbarkeit des Materials ist ebenso wenig kalkuliert wie ihre Ästhetik mittels Reissbrett entworfen. Organisches erhält in Instead of sitting here proving that I can also be an intellectual I could be out fishing, out painting, out dancing, etc. (Indigo) eine poetische Note, auch wenn der Bezug zur Naturwissenschaft und die bisweilen historisch entlehnten Bezeichnungen («Preussischblau») Betrachter wie Künstler immer wieder an den Ort der eigentlichen Recherche – gedanklich, perzeptiv – zurückholt. Dass Naturwissenschaft und künstlerische, sozusagen «Sensibilität» sich nicht ausschliessen, zeigt Andreas Marti in der performativen Skulptur The proof of the pudding is in the eating II. Eisen verändert durch Erhitzen seine Farbe in regenbogenartiger Weise. Diese an sich handwerkliche Bearbeitung, mit der in der Industrie Metalle verarbeitet und legiert werden, interessiert den Künstler. Aus der Palette der möglichen Farbtöne, die dabei entstehen, will er an der Eröffnung eine Farbe herausbilden – eine Art «ultramarines Marienblau».
Susanne Neubauer

Andreas Marti
*1967 in Zürich
lebt und arbeitet in Zürich

Ausbildung
1989–95 Hochschule für Gestaltung und Kunst Zürich
2004–08 Studium Bildende Kunst, Zürcher Hochschule der Künste ZHDK

Einzelausstellungen (Auswahl)
2014 NAR Gallery, Biel
vebikus, Schaffhausen
Das Esszimmer, Bonn
2013 Kunsthalle Sao Paulo, Brasilien, Cutting the Detour, kuratiert von Marina Coelho
DIENSTGEBÄUDE Art Space Zürich, slasdlalsflakdfgjalkdjglak
OG9, Kunsthaus Aussersihl, Zürich, Stalactite
2012 Espace Libre Biel, The Whole is More than Twice the Half, kuratiert von Laura Sanchez Serrano und Manon Engel
2011 Roma Contemporary Art Fair, Andreas Marti, by ZAK Gallery, Castello di Monteriggioni, Siena
2010 Gallery Christinger De Mayo, Zürich, Die Übersicht ist Teil des Ganzen
Alpineum Produzentengalerie, Luzern, Genau, mit Monika Kiss-Horwath
SHIMMER, Von Punkt und Linie zur Fläche, Webprojekt von Miriam Steinhauser
2009 DIENSTGEBÄUDE Art Space Zurich, Marti, Müller, Nguyen, mit Victorine Müller und Cat Tuong Nguyen
2008 I Sotterranei dell’Arte, Monte Carasso, Expanded, kuratiert von Boris Magrini
Dieselwall, Stadion Letzigrund, Zürich, Bag Bellow’s Break
2007 Galerie Widmer+Theodoridis, Zürich, Piaggio
2006 Landpartie Zürich, Left Over, kuratiert von Irene Müller
2003 DEPOT by Projekt Hohlraum, Zürich, Bruch

Gruppenausstellungen (Auswahl)
2014 Haus für Kunst Uri, Altdorf, MELENCOLIA, kuratiert von Barbara Zürcher
2013 1st. International Bodrum Biennial, Türkei, Aganta Burina Burinata, kuratiert von Banu Grote
Gallery ReinArt, Neuhausen b. Rheinfall, Marianne Engel, Christian Gonzenbach, Andreas Marti
Museo Cantonale D’Arte Lugano, Reality Is Not a Commonplace, Collection Julius Baer, kuratiert von Elio Schenini
Supermarket Art Fair, Stockholm, Andreas Marti, Wink Witholt, Silvie Zürcher
Transform / Versuchsanordnung 2, Bern, kuratiert von Sibylle Heiniger and Franz Krähenbühl
Alte Zementfabrilk, Brunnen SZ, Die Fabrik ruft!, kuratiert von Mischa Camenzind
Museum Erwin Rehmann, Laufenburg, Geschnitten und Geschichtet, kuratiert von Cornelia Ackermann
Kunstraum Kreuzlingen, Mit Seife und Gabeln, kuratiert von Tanja Trampe und Daniela Petrini
K3 Zurich, Der kleine Kunstsammler, kuratiert von Clare Goodwin
2009 Museum Bellerive, Zürich, Kontur Pur, kuratiert von Eva Ahfus and Tanya Trampe
DIENSTGEBÄUDE Art Space Zurich, Engel, Krieg, Marti, Nguyen
Museum Baviera, Zürich, Kult Zürich Ausser Sihl – Das andere Gesicht, kuratiert von Silvio Baviera
2007 Galleria Studio 44, Genua, Italien, GenovaStart 07, kuratiert von Michele Fiore
2003 Kunsthaus Langenthal, Loch statt Linse, kuratiert von Markus Schürpf and Marianne Burki
Stand der Dinge, Projekt Hohlraum im Tigel, Zürich
1999 Projekt Gletscherzungenkuss, Sustenpass, Berner Oberland

Auszeichnungen
2010 Atelierstipendium in London, Aargauer Kuratorium
2009 Werkbeitrag Aargauer Kuratorium
2008 Dieselwall Zürich
2006 Atelierstipendium in Genua (I), Stadt Zürich
2003 Werkbeitrag Kanton Zürich
2003 Werkbeitrag Aargauer Kuratorium

Projekte
2014 Art Space Guide Zurich, Herausgeber, www.artspaceguide.ch
Seit September 2008 DIENSTGEBÄUDE, Art Space Zurich
2003, 2004 DEPOT, Interventionen im Automaten, Zürich

www.andreasmarti.ch
www.hausfuerkunsturi.ch/allgemeines/melencolia